Altes Foto der Stadt Hagen 1938, Blick über den heutigen Berliner Platz auf den Bahnhof. Dramatisch retuschierter Wolkenhimmel.

How-to
Stra­ßen­na­men?

Handreichung zur Erkundung örtlicher Erinnerung

Ein Projekt von Fabian Fechner, Florian Gregor, Eva Ochs,
Dennis Schmidt und Barbara Schneider (Lehrende an der FernUniversität in Hagen)
sowie Frank Wistuba und Silke Newig (Projekt „bne:digital.nrw“),
unterstützt vom Hagener Heimatbund und dem Stadtarchiv Hagen

Die Inhalte der Website „How-to Straßennamen? Handreichung zur Erkundung örtlicher Erinnerung“ stehen unter der Lizenz CC BY-ND 4.0, unter Ausnahme des Logos der FernUniversität in Hagen, des Layouts und sämtlicher Abbildungen.

Straßenschild "Hindenburgstraße" mit Zusatztafel vor blauem Himmel. Auf der Zusatztafel unterhalb des Straßenschildes steht: "Paul von Hindenburg 02.10.1847 - 02.08.1934 Im Ersten Weltkrieg Generalfeldmarschall. 1925 - 1934 Reichspräsident. War 1933 mit verantwortlich für die Zerschlagung der Weimarer Republik und trug zur Errichtung der Nazidiktatur bei."
Foto: F. Fechner

Ein kommentiertes Straßenschild – diese unauffällige Zusatztafel im Hagener Bahnhofsviertel ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Diskussion.

Oder doch nur ein aktueller Zustand, 2022 beschlossen?

Mindestens zwei erfolglose Straßenumbenennungen gehen dem voraus, und ein erster (fehlerhafter) Kommentar. Straßennamen sind kein Zufall, sie sind Teil des Selbstverständnisses einer Stadt und zugleich der Stoff gesellschaftlicher Diskussionen.

Wie und warum wurden sie beschlossen, was sagen sie uns, wie kann man sie ändern? Darum soll es hier von geschichtswissenschaftlicher Seite aus gehen.

All­ge­mein

Straßennamen sind wichtiger Teil einer örtlichen Erinnerungskultur – denn egal, in welcher Epoche und in welchem deutschen Staat wir uns befinden, die Entscheidung für bestimmte Namen fiel fast immer auf einer sehr konkreten, örtlichen Ebene. Und jede Stadt hat ihr eigenes Erinnerungsprofil, das man an Straßennamen ablesen kann. Gemeinsam mit einer Gruppe von Studierenden haben wir uns diesen lokalen Erinnerungsschichten im Sommersemester 2022 in einem Blockseminar an der FernUniversität in Hagen gestellt.

Debatten um Straßennamen haben derzeit auch besondere Konjunktur. An vielen Orten wird darüber diskutiert, welche Straßennamen erhalten bleiben können oder sollen, welche kommentiert werden und welche umbenannt werden müssen. Es wäre unserer Meinung nach für viele Debatten bereichernd und weiterführend, die historischen Hintergründe einzubringen. Denn allzu oft bleibt die öffentliche Auseinandersetzung bei der Frage nach dem/der Benannten stehen und erschöpft sich in eher allgemeinen Wertungen: Sei es „Person X hat verwerflich gehandelt, wie kann man ihn/sie nur mit einem Straßennamen ehren?“ auf der einen Seite oder ein „Das hieß schon immer so, das hat noch nie jemand gestört und überhaupt: Gibt es nichts Wichtigeres?“ auf der anderen.

Die historischen Hintergründe von Straßenumbenennungen einzubringen ist jedoch nicht einfach und erfordert Arbeit – eine Arbeit allerdings von lokalhistorischem und gesellschaftlichem Wert. Wie kann man sich Straßennamen nun historisch nähern und ihrer Benennung oder Umbenennung auf die Spur kommen?

Unser Leitfaden „How-to Straßennamen“ soll dabei systematisch und praxisnah unterstützen. Zunächst erscheint uns eine Ausweitung und begriffliche Klärung notwendig: Es geht nicht einfach nur um Straßennamen, sondern um die Straßenbenennung, denn Straßen heißen ja nicht von Natur aus so wie sie heißen, sondern sie werden benannt und können umbenannt werden. Sie sind Ergebnis zeitgenössischer, gesellschaftlicher Diskussionen. Das macht der Begriff der Straßenbenennung deutlich.

Die in Europa historisch älteste und wesentliche Funktion von Straßennamen ist die Orientierung. Das hängt einerseits mit der Mobilität zusammen – Ortsunkundigen hilft es, den Ort zu finden, den sie suchen –, ist andererseits aber auch eine Folge des Stadtwachstums, denn als die hochmittelalterlichen Städte eine bestimmte Größe überschritten, war es auch für die darin lebenden Menschen für die Orientierung hilfreich.

Die frühen Straßennamen waren nicht verordnet, sondern entwickelten sich. So waren es häufig dort ansässige Handwerksbetriebe und die entsprechenden Zünfte oder Kirchen und Klöster, die namensgebend waren. Von der Verwaltung her betrachtet ist die Orientierungsfunktion noch heute die vorrangige in Bezug auf Straßennamen. Die Benennung als Element obrigkeitlicher Steuerung ist jedoch jüngeren Datums und die Grundlage für die zweite Funktion.

Ab dem 18. Jahrhundert wurde die systematische Benennung von Straßen üblich. Und die Benennung wurde immer mehr als eine obrigkeitliche Aufgabe verstanden, so ist dieser Prozess, wie auch die Hausnummerierung oder die Verpflichtung zum Tragen von festen Familiennamen, mit der Entstehung des modernen Staates verknüpft. Zur zentralen Institution der Straßenbenennung wurde aber nicht der Staat selbst, sondern es war und ist meist eine kommunale Aufgabe.

Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts wurden Straßen immer mehr nach Personen und wichtigen Ereignissen benannt – die Straßennamen wurden zu einem Element der Erinnerungskultur. Verdiente Mitglieder des (eigenen) Kollektivs wurden so geehrt und Herrschaft – auch deren Wechsel – zum Ausdruck gebracht. Damit sind diese Straßennamen Ausdruck der für die Moderne kennzeichnenden Politisierung des öffentlichen Raums.

Im 19. Jahrhundert setzte sich diese Form der Benennung in vielen Teilen Europas durch. Da in dieser Zeit die Nation den zentralen kollektiven Bezugspunkt bildete, sind die Straßennamen nicht selten einem nationalen Programm verpflichtet, ohne dass damit eine staatliche Steuerung verbunden war. Diese dritte Funktion findet sich im „westlichen“ Raum nicht überall. Das beste Beispiel sind die USA, wo eine schlichte Durchnummerierung (beispielsweise die 5th Avenue in New York) üblich ist. Aber auch in diesen „Nummern-Namen“ ist eine Hierarchie eingeschrieben und so können sie selbst zum Erinnerungsort werden.

Sie werden so mit der vierten Funktion von Straßennamen verknüpft:

Straßennamen stiften Identität – und das tun sie auf kollektiver, aber auch auf individueller Ebene. Ersteres ist eng mit der Erinnerungsfunktion verknüpft, wenn beispielsweise eine nationale Benennung oder auch eine solche nach „Lokalhelden“ (und zum Glück auch immer mehr „Heldinnen“) erfolgt. Sie kann dies aber auch darüber hinaus tun, zum Beispiel als Einkaufsstraße (Kö oder Kudamm), popkulturelles Phänomen (Abbey Road) oder politischer Verweis (Downing Street) Identität für gesellschaftliche Gruppen stiften. Auf niedrigerer Ebene tun sie das auch für die Bewohnerinnen und Bewohner einer Straße, die so eine Gemeinsamkeit haben – und sei es nur die Adresse –, die beispielsweise in Straßenfesten begangen wird. Aber auch für einen einzelnen Menschen hat ein Straßenname eine Identitätsdimension: Das Erlernen der eigenen Adresse kommt für viele Kinder kurz nach dem Lernen des eigenen Namens, der Name der Straße, in denen die Großeltern oder die erste Liebe wohnte oder in der die die erste eigenen Wohnung lag – alle diese Straßen haben einen emotionalen biographischen Bezug. Und dabei sind sie erst einmal völlig losgelöst von dem eigentlich Benannten. Das ist der wesentliche Unterschied zur Erinnerungsfunktion, bei der es ganz um das Benannte geht. Damit ist die Identitätsfunktion einerseits nicht zwangsläufig mit Politisierung verknüpft, kann es aber andererseits sogar in besonderer Weise sein.

Straßennamen lassen sich aus historischer Sicht als historische Quellen greifen, allerdings nicht in einer eher banalen Form, als sei mit ihrer Umbenennung zugleich Geschichte „ausgelöscht“. Allein schon durch die gegenwärtige oder auch historische Benennung von Straßen ergeben sich Hinweise auf solche Sachkontexte. So deutet beispielsweise die Bezeichnung Judengasse auf eine jüdische Besiedlung hin, auch wenn weitere Quellen dazu fehlen. Die Benennung von Straßen verrät aber auch etwas über historische Mentalitäten und Machtverhältnisse.

Reiner Pöppinghege schreibt hierzu:

Für Matthias Martens sind Straßennamen „verfestigte kollektive Erinnerung“: „das Erinnernde und dessen symbolischer Gehalt werden in einem Namen verdichtet“.2

Birgit Nemec und Florian Wenninger haben Straßennamen überzeugend als „hegemoniale Inskriptionen“ analysiert.3 Das meint, dass mit Straßennamen Macht ausgedrückt wird: Mächtige Gruppen schreiben sich und ihre Vorstellungen in den öffentlichen Raum ein. Das ist durchaus konfliktträchtig, insbesondere auch, wenn sich gesellschaftliche Machtverhältnisse und Hegemonien verändern.


1 Rainer Pöppinghege, Wege des Erinnerns. Was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen, Münster 2007, S. 13.
2 Matthias Martens, Straßennamen – Lesezeichen im kulturellen Gedächtnis, in: Sabine Horn/Michael Sauer (Hg.), Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009, S. 61-69, hier: S. 61.
3 Birgit Nemec/Florian Wenninger, Editorial, in: Geschichtspolitik im öffentlichen Raum. Zur Benennung und Umbenennung von Straßen im internationalen Vergleich = zeitgeschichte 46,1 (2019), Göttingen 2019, S. 7-14.

Die Benennung von Straßen hat, wie zu Beginn deutlich gemacht, mehrere Funktionen. Gerade bei den öffentlichen, teils heftig geführten Debatten ist ein wechselseitiges Unverständnis zu beobachten, das unserer Ansicht nach nicht selten in unterschiedlichen Gewichtungen der verschiedenen Funktionen wurzelt. Wem die Erinnerungsfunkton wichtig ist, der (oder die) wird eher zu Umbenennungen bereit sein, als der(die)jenige, der (die) die Orientierungsfunktion für wesentlich hält. Wenn hier nicht frühzeitig eine gemeinsame Ebene gefunden wird, so wird fast jede Einigung schwierig sein.

In ihrem großen Interesse für die Erinnerungskultur droht gerade die Geschichtswissenschaft einen einseitigen Blick auf die Straßennamen einzunehmen. Denn die Bedeutung, die Straßennamen für die Identität kleiner Kollektive oder von Individuen haben können, wird dabei leicht übersehen. Die Änderung eines Straßennamens kann auf individueller Ebene einer langjährigen Anwohnerin oder eines Anwohners nicht einfach nur aus Gründen des Verwaltungsaufwands abgelehnt werden, sondern auch, weil damit ein Stück emotional besetzte Lebensgeschichte verloren zu gehen droht. Das ist zwar kein prinzipielles Argument gegen Straßenumbenennungen. Wer jedoch eine Umbenennung anstrebt, sollte die Identitätsfunktion von Straßennamen auch für kleine Kollektive – Straßen- oder Hausgemeinschaften – oder Individuen entsprechend berücksichtigen.

Wie schon eingangs angesprochen, kommen die öffentlichen Straßennamendebatten nicht selten ohne eine historische Kontextualisierung aus. Es reicht die Frage, nach wem oder was die Straße benannt ist. Und wenn man dann Historiker:innen für Gutachten oder Dossiers hinzuzieht, sollen sie genau darüber Auskunft geben. Wirklich spannend – aber auch wesentlich komplexer! – wird die Auseinandersetzung mit Straßennamen jedoch erst, wenn die spezifischen Benennungskontexte und die mit dem/der Benannten verbundenen Erinnerungspraktiken mit in den Blick genommen werden.

So mögen die ersten Kolonien des Deutschen Reiches zwar unter Bismarck angeeignet worden sein, das alleine macht jedoch eine Bismarckstraße nicht kolonial. Spielten aber zum Beispiel Kolonialverbände bei der Benennung oder den örtlichen Bismarckfeiern eine wichtige Rolle, dann sieht das wieder völlig anders aus. Die Problematik lässt sich abschließend gut an einem Beispiel aus Hagen verdeutlichen. In direkter Nachbarschaft und in der Nähe des Hauptbahnhofes befinden sich heute die Hindenburgstraße und die in sie einmündende Martin-Luther-Straße. In Bezug auf Erstere gab es schon in den 1970er-Jahren Umbenennungsinitiativen und 2019 wurde zuletzt darüber diskutiert – immer ging es um Hindenburg als historische Figur. Letztere hingegen wurde und wird nicht diskutiert. Nun könnte man natürlich auch Luther sehr kritisch betrachten, aber darum soll es nicht gehen, sondern um die Benennung.

Die Hindenburgstraße wurde 1930 benannt, also noch während der Weimarer Republik. Sie war eingebunden in ein thematisches Cluster von Straßennamen, die Politikern der ersten deutschen Demokratie gewidmet waren. Eine Straße aus diesem Cluster wurde nach dem 1922 von Rechtextremisten ermordeten Außenminister Walther Rathenau benannt. Während der NS-Zeit nun wurde diese Straße umbenannt und das eben in Martin-Luther-Straße – eine Benennung, die auch nach 1945 bestehen blieb. Welche Straße ist nun problematischer? Was ist höher zu gewichten? Die Person, nach der die Straße benannt ist, oder Zeitpunkt und Motivation der Benennung? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Aber das zeigt, dass der Blick auf Straßennamen komplexer und vielschichtiger wird, wenn man genau hingeschaut. Und das ist ein Gewinn!

Wie dieser genauere Blick ermöglicht wird, dazu im Folgenden mehr.

Wie kann nun die historische Vielschichtigkeit von Straßennamen erforscht werden?

Dabei helfen Texte, Abbildungen und Objekte der jeweils behandelten Zeit – „Quellen“ also, die die Grundlage jeder geschichtswissenschaftlichen Forschung sind.

Zeitungen werden definiert als Druckerzeugnisse, die sich durch Aktualität, regelmäßiges Erscheinen und Publizität im Sinne einer relativ hohen Auflage auszeichnen, wobei diese Definition vor allem hinsichtlich der fortschreitenden Digitalisierung problematisiert werden kann. Sie bieten der Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich über tagesaktuelle Ereignisse und Entwicklungen zu informieren und sich eine Meinung zu bilden.

Historisch betrachtet entwickelte sich die Zeitung im ausgehenden 18. Jahrhundert zu einem wichtigen Medium zur Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit. In Verbindung mit der Entwicklung der Rotationspresse (1845) und dem Ausbau des Verkehrs- und Nachrichtennetzes entstand im Übergang zum 20. Jahrhundert die Massenpresse. Zeitungen als Sprachrohre und Informationsmedien unterschiedlicher gesellschaftlicher Milieus avancierten zum zentralen Informationsmedium breiter Bevölkerungsschichten.

Als historische Quellen für Historiker:innen sind Zeitungen auf unterschiedlichen Ebenen nutzbar. Sie beinhalten Informationen über Politik, Soziales, Wirtschaft und Kultur und bieten sich insbesondere für mentalitäts-, diskurs- und alltagsgeschichtliche Perspektiven an.

Durch die Digitalisierung breiter Quellenkorpora haben sich der Geschichtswissenschaft im Laufe der letzten Jahre neue Forschungsperspektiven eröffnet. Bislang nur fragmentarisch überlieferte oder schwer zugängliche Quellen – und so auch historischen Zeitungen – werden immer leichter zugänglich. Insbesondere digitalisierte Zeitungssammlungen, die in nicht digitalisiertem Zustand aufgrund der Menge des Materials mit großem Aufwand untersucht werden müssen, profitieren in diesem Zusammenhang von der Recherche durch digitale Suchmasken.

Dennoch bleiben die allgemeinen Regeln der Quellenkritik bestehen. Nähert man sich Zeitungen als historischen Quellen, sind einige Punkte zu beachten:

  • die Repräsentativität der einzelnen Zeitung, d.h. die Höhe der Auflage und ihre zeitgenössische Relevanz
  • ihr gesellschaftspolitisches Profil, d.h. ihre ideologische Intention und ihre Zielgruppe
  • etwaige Zensurregelungen zum Zeitpunkt des Erscheinens
  • ihre Verortung innerhalb der zeitgenössischen Presselandschaft
  • eine allgemeine Historisierung

Im Rahmen der zuvor erwähnten Digitalisierung sind einige wichtige Zeitungsportale entstanden, die für Historiker:innen in Bezug auf die deutschsprachige Presse inzwischen als unverzichtbar gelten können:

Alter, schwarz-weißer Zeitungsausschnitt in altdeutscher Schrift, in dem die Anzeige der Umbenennung einer Straße markiert wurde.

Auch für die Diskussionen um Straßennamen bieten sich Zeitungen als Quelle an.

Nicht selten kommt es im Zusammenhang mit geplanten Straßenumbenennungen zu Leser:innenbriefen, Kommentaren, aber auch zu Leitartikeln im Feuilleton, in denen die weiter oben skizzierten Funktionskonflikte ausgetragen werden.

Als besonders prominentes Beispiel einer solchen publizistischer Abbildung gesellschaftlicher Debatten kann die Diskussion um die Umbenennung der Berliner Mohrenstraße dienen.

Oftmals ist in Stadtarchiven und Vermessungsämtern eine gute Auswahl an Stadtplänen zu finden. Dabei sind verschiedene Hauptzwecke der Stadtpläne zu unterscheiden: Katasterpläne verzeichnen parzellengenau den Grundbesitz. Sie sind besonders wertvoll, da sie oftmals sogar Hausnummern nennen und sich somit Änderungen in der Zählung nachvollziehen lassen. Amtliche Stadtpläne sind ebenfalls recht genau und zeigen in der Regel das gesamte Stadtgebiet. Touristische Stadtpläne sind in der Regel auf das Stadtzentrum beschränkt. Da sie aber in großer Auflage erschienen sind, sind sie leicht erhältlich, sei es antiquarisch oder als Scan.

Ein erster Anhaltspunkt für die Vielfalt der Stadtpläne bietet folgende private Seite, mit ca. 500 Plänen deutscher (oftmals größerer) Städte von 1903 bis 1990, mit Scans in sehr guter Qualität:

Die sogenannten Messtischblätter (stets im Maßstab 1:25.000) wurden in mehreren Auflagen für ganz Deutschland erstellt – sie decken das gesamte Staatsgebiet ab. Durch die zentrale Herstellung sind sie leichter zu recherchieren, doch geben sie nur in Ausnahmefällen Straßennamen wieder.

Sie helfen aber bei einer Einschätzung der Stadterweiterung/Siedlungsfläche, bei Straßenverläufen und bei administrativen Gliederungen. Sie verzeichnen selbst kleinste Gehöfte und Streusiedlungen zuverlässig.

Ein erster Zugriff in guter Auflösung ist möglich über:

Die Vergabe von Straßennamen liegt heute in der Verantwortung von Gemeinden, auch historisch war sie zumeist eine Angelegenheit der Kommunen oder regionaler Polizeibehörden. Dementsprechend hat die kommunale Quellenüberlieferung für die Erforschung von Straßennamen einen großen Stellenwert.4 Vor Ort gilt es erst einmal herauszufinden, welcher Instanz die Benennung zustand oder zusteht. In Hagen wird das heute zum Beispiel in den Bezirksvertretungen entschieden. Ist die zuständige Institution bekannt, gilt es, deren Bestände im Archiv zu sichten. Als besonders aufschlussreich können sich die Protokolle von Stadt- bzw. Gemeinderäten (oder in anderen Bundesländern Stadtverordnetenversammlungen, Rat der Stadt oder Stadtvertretung) erweisen, im Falle einer Übertragung der Rechte zur Vergabe von Straßennamen – wie eben in Hagen – auch die Protokolle der Bezirksvertretungen. In anderen Regionen können dies aber beispielsweise auch Ortschaftsräte sein. Die Sitzungen dieser Institutionen wurden und werden üblicherweise protokolliert und die Protokolle in der Regel als bedeutungswürdiger Bestand in entsprechenden Archiven aufbewahrt. Das muss jedoch nicht immer zwangsläufig auch für die Aktenbeilagen gelten, die im Rahmen der Sitzungen anfielen.

Im Archiv wird man fast immer fündig werden. Jedoch gilt es dabei zwei Punkte zu bedenken: 1. Man sollte am besten wissen, wann eine Straße ungefähr benannt worden sein könnte, sonst gestaltet sich das Sichten der Protokolle schnell als die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. 2. Man sollte sich auch auf Enttäuschungen einstellen. In vielen Fällen wird in den Protokollen schlicht festgehalten worden sein, dass eine Straße so und so benannt wurde. Immerhin diese genaue Information ist dann erhoben. Natürlich ist es befriedigender, wenn die Protokolle weitere Informationen liefern: beispielsweise eine Erläuterung des Namens oder eine Begründung für die Wahl, in besonders spannenden Fällen sogar eine Kontroverse zwischen den verschiedenen Fraktionen des Rats. Für Fälle der jüngeren Zeit gestaltet sich die Suche oftmals wesentlich einfacher. Über städtische Bürgerinformationssysteme5 lassen sich die Protokolle der Räte online einsehen und durchsuchen.

Hierzu zum Abschluss ein Beispiel der Bezirksvertretung Haspe in Hagen, die sich am 26.01.2017 gegen die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße aussprach. Die Namensgeberin, eine ostpreußische Heimatdichterin, war aufgrund ihrer großen Nähe zur NS-Ideologie vielerorts in Kritik geraten.


4 Entsprechend stammt eine wesentliche Grundlage für die Benennung von Straßen in Deutschland vom Deutschen Städtetag: https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Publikationen/Weitere-Publikationen/2021/Handreichung-Strassennamen-im-Fokus-einer-veraenderten-Wertediskussion.pdf.

5 In Hagen zum Beispiel: https://www.hagen.de/irj/portal/AllrisB.

Webseite des Bürgerinformationssystems der Stadt Hagen: der Antrag auf die Umbenennung einer Straße mit der dazugehörigen Ablehnung und Begründung derselben.

Adressbücher verzeichnen die Postanschriften von Privatpersonen, Behörden, Unternehmen und Institutionen eines bestimmten Ortes in einem bestimmten Zeitfenster. Sowohl für die Bewohner:innen als auch die Besucher:innen des jeweiligen Ortes/Raumes sind Adressbücher eine Informationsquelle und Orientierungshilfe, deren Gültigkeit jedoch von einer regelmäßig durchgeführten Aktualisierung abhängt.

Ihren Ursprung haben die Adressbücher in den Staats- und Hofkalendern des 18. Jahrhunderts. Damals hießen die Adressbücher „Amtskalender“. Häufig begannen diese Kalender mit einer Jahresübersicht. Zudem enthielten sie Angaben zu Heiligennamen, zu astronomischen Ereignissen, zu anfallenden Hof- und Kirchenfesten und verwiesen auf Bauernregeln. Dann folgte meist ein Personenverzeichnis, das die Organisationsstruktur des Hofes und der einzelnen Territorialbehörden widerspiegelte, das heißt, vom Fürsten bis zum Schlossdiener wurden alle Personen gemäß ihren Tätigkeiten bzw. Verwaltungsfunktionen aufgeführt. Manche Kalender enthielten auch Angaben über das jeweilige höfische Zeremoniell und informierten über aktuelle Postverbindungen, Münzkurse und Ereignisse, die die Besonderheit des jeweiligen Raumes hervorhoben.

Die sich daraus entwickelnden gedruckten Adressbücher, die im Laufe der Zeit durch Branchenverzeichnisse und spezielle Firmenadressbücher ergänzt wurden, erschienen in regelmäßig aktualisierten Auflagen. Ihre raumgebundene Funktion (Information und Orientierung) erfüllte sich lange Zeit durch zwei getrennte alphabetische Verzeichnisse: Eines war nach Straßennamen sortiert, das andere bezog sich auf den Nachnamen des Haushaltsvorstands. Mitunter wurde bei der Personenbenennung auch gleich auf die/ den jeweilige/n Hauseigentümer:in und die Lage der Wohnung („3. Stock links“ oder „im Hinterhaus“ etc.) verwiesen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann auch die Namen von Personen aufgelistet, die mit im Haushalt lebten (z. B. Ehefrauen, Dienstbot:innen und erwachsene Kinder). Darüber hinaus wurden häufig auch eine Berufsbezeichnung und der Familienstand angegeben. Bis in die 1970er Jahre gehörten zudem Hinweise auf die Lage von Briefkästen oder kreuzende Straßen zu den wichtigsten Ergänzungen der sich fortwährend erweiternden Adressbücher.

  • die räumliche Ausdehnung einer Stadt (aufgelistete Straßenzüge, Stadtpläne)
  • die Bevölkerungsentwicklung
  • die räumliche Mobilität der Bevölkerung (Straßen- und Häuserverzeichnis)
  • die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung (Berufe)
  • die Sozialstruktur der Wohnquartiere
  • die ökonomische Struktur und Entwicklung
  • das Aufkommen und Verschwinden bestimmter Berufe
  • die Entwicklung der verkehrstechnischen Infrastruktur
  • die Entwicklung des kulturellen Angebots einer Stadt (Theater, Museen, Bibliotheken)
  • die Entwicklung politischer Herrschaft, z. B. an der Straßenbenennung / Umbenennung
Literaturhinweise:

Adressbücher können in Archiven und Bibliotheken eingesehen werden, zudem sind sie vielerorts digitalisiert. Man kann also ggf. im Internet forschen wie z. B. in Olpe:

[18.06.2023].

Georgi, Simone: Historische Adressbücher online (2013).

Straßennamen sind auf Schildern und Tafeln im Stadtbild optisch präsent und deshalb auch ein visuelles Phänomen, das auf Fotografien abgebildet ist. Fotografien als historische Quellen können in unterschiedlicher Weise für die Beschäftigung mit Straßennamen genutzt werden. Grundsätzlich kann man Fotografien zum einen als Belege für sogenannte „realkundliche“ Fragestellungen nutzen: Historische Aufnahmen von Straßenschildern können als Nachweise für Namensgebungen dienen. Zusammen mit verlässlichen Angaben zum Aufnahmezeitpunkt geben sie Auskunft darüber, zu welchem Zeitpunkt die Straße (offiziell und sichtbar) den jeweiligen Namen trug.

Altes Foto einer Häuserfassade von 1938. Schwarz-Weiß-Fotografie mit leichter Sepia-Tönung. Vor dem Haus steht eine Gruppe Personen, Erwachsene und Kinder.
Straßenzug der Badstraße (1907) in Hagen, alte Fotografie in schwarz-weiß mit leichter Sepia-Tönung. Rechts eine Häuserreihe, links im Vordergrund ein Haus und einige Bäume hinter einer Mauer. Dahinter steht noch ein Haus, welches handschriftlich markiert wurde.
Schwarz-weiß Bild einer Straßenecke. Im Vordergrund die Straße mit Kopfsteinpflaster, dahinter eine Mauer mit Zaun und einige große Häuser.
Altes Foto der Stadt Hagen 1938, Blick über den heutigen Berliner Platz auf den Bahnhof. In der unteren linken Ecke steht: Hagen. Adolf Hitlerstraße. Dramatisch retuschierter Wolkenhimmel.
Altes schwarz-weiß Foto eines amerikanischen Soldaten, der das Straßenschild "Adolf-Hitler-Straße" gegen das Schild "Roosevelt Blvd." austauscht. Er lächelt dabei froh nach rechts unten.

Wichtig ist bei der Nutzung von Fotografien als historische Quellen, den Entstehungskontext, die zeitgenössische Bedeutung, die Adressat:innen und die Rezeption der Fotos in die Interpretation einzubeziehen.

Zum Weiterlesen:

Sauer, Michael: Fotografie als historische Quelle, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2002), S. 570-593.

Paul, Gerhard: Visual History, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 13.03.2014
DOI: http://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok.2.558.v3

Kohle, Hubertus: Digitale Bildwissenschaft, Glückstadt 2013.

Jäger, Jens: Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die historische Bildforschung, Tübingen 2000.

Besonders in jüngster Zeit sind vermehrt (mitunter thematisch fokussierte) Verzeichnisse von Straßennamen von verschiedenen Städten erstellt worden, teils durch offiziellen Auftrag. Beispielhaft können genannt werden:

  • Vom allgemeineren „Symbolwert“ eines Straßennamens ausgehend sollte man bei der eigentlichen Forschung auch auf einen konkreten lokalen Zusammenhang schließen.
  • Straßennamen können mehrdeutige Bezüge aufweisen, die vielleicht auch absichtlich sind (zum Beispiel bezieht sich der Name „Wilhelmstraße“ in Württemberg so gut wie nie auf den Hohenzollernkaiser, sondern auf König Wilhelm I. von Württemberg).
  • Bei der Forschung sollte man sich auch Klarheit darüber verschaffen, welche Institutionen zu welcher Zeit in welchem deutschen Staat für die Benennung/Umbenennung von Straßen und Plätzen zuständig sind (Gemeinderat, untere Polizeibehörde …).
  • Allmählich kann man auch einen Blick für lokale Besonderheiten entwickeln, für lokale/regionale Themenschwerpunkte und Einzelpersonen.
  • Nicht nur politische Zäsuren können Umbenennungswellen nach sich ziehen, sondern auch Eingemeindungen (um Doppelungen zu vermeiden). Deshalb sind auch Veränderungen bei Stadt- und Gemeindegrenzen zu berücksichtigen. Beispielsweise gab es Ende der 1920er Jahre und Mitte der 1970er Jahre zahlreiche Zusammenlegungen von Kreisen und Gemeinden, was zahlreiche Straßenumbenennungen nach sich zog.

Stellvertretend für diese einzelnen Landesbibliographien seien hier zwei gesondert genannt:

Dies ist eine Sammlung und fortschreitende Digitalisierung der badischen (seit 1929) und württembergischen (seit 1895) Landesbibliographien durch die Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Diese Landesbibliographie wird laufend mit neuen, aktuellen Aufsätzen und Monografien zur Landesgeschichte aktualisiert.

  • Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Stuttgart 1958ff.

Dabei handelt es sich um eine einzigartige Verarbeitung lokalhistorischer Forschung in einem handlichen Nachschlagewerk. Es bietet sich bei der Recherche von kleineren Siedlungen an. Wertvoll sind auch die Anhänge (teils mit Stammtafeln, gut reproduzierbaren historischen Karten etc.). Neben der Bearbeitung der heutigen Bundesländer der BRD gibt es in dem allgemeiner gefassten „Handbuch der historischen Stätten“ auch folgende Bände: Schlesien, Ost- und Westpreußen, Böhmen und Mähren, Siebenbürgen, Österreich (in 2 Bänden), Schweiz und Liechtenstein, Dänemark. Das „Handbuch“ ist eigentlich formal gesehen eine Buchreihe. Es hilft schon bei der Frage, wie sich die Gemeindegrenzen im Laufe der Geschichte änderten.

  • World Biographical Information System (WBIS)

Geht auf die biographischen Microfiche-Archive des Verlags K. G. Saur zurück; mehrere Millionen Einträge aus faksimilierten biographischen Lexika; Schwachpunkt beim genauen Zitieren: Spalten bzw. Seiten werden nicht angegeben. Es ist nur eine Suche nach Personennamen möglich, nicht nach Orten o. dgl. Auch unbekanntere oder nur lokal bekannte Persönlichkeiten können so besser belegt werden.

Darüber hinaus kann weiterhelfen:

  • Deutsche Biographie

Biographisches Verzeichnis herausragender historischer Personen, Digitalisierung der Allgemeinen Deutschen Biographie (56 Bde., 1875-1912) und der Neuen Deutschen Biographie (28 Bde., 1953-2024), Digitalisierungsprojekt u. a. der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Staatsbibliothek.
– Nach Geburts- und Sterbeorten bzw. Wirkstätten recherchierbar
[Frage dahinter: wie komme ich von Orten auf Personen?]

Thematisch überwiegen die Studien zu Nationalsozialismus und Militarismus, jüngst auch vermehrt zu Kolonialismus. Folgende Artikel zeigen beispielhaft die vielfältigen Möglichkeiten der Erforschung von Straßennamen:

  • Schürmann, Felix: Die kurze Geschichte der kolonialen Straßennamen in Frankfurt am Main, 1933-1947, in: In: WerkstattGeschichte 61 (2013), S. 65-75.
    https://werkstattgeschichte.de/wp-content/uploads/2016/12/WG61_065-075_SCHUERMANN_FRANKFURT.pdf
  • Wittmann-Zenses, Manfred: Straßenbenennung in Mönchengladbach und Rheydt zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Rheydter Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Heimatkunde 24 (1998), S. 11-67.
  • Dickhoff, Erwin: Die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Straßennamen. Ein Beitrag zur Geschichte der Straßenbenennung, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 101 (1987), S. 77-104.

Sehr hilfreich und aussagekräftig zur Benennung der Straßen in Westfalen und Lippe zur Zeit des Nationalsozialismus ist folgende Datenbank mit exakten Quellenangaben:

Als Beispiel eines Gesamtwerks zu den Straßennamen einer Stadt ist sehr empfehlenswert:

  • Stadt Krefeld (Hg.): Schildbürger und ihre Vorgänger. Geschichte in Straßennamen, Krefeld 2012.

Eine nicht historiographisch, sondern graphisch spannende Lösung zur Darstellung der thematischen Clusterung von Straßennamen ist:

  • Gauglitz, Gerd: Berliner Straßennamen – Themenstadtplan, mit Beiheft, Berlin 2015.

Der große Klassiker zu der politischen Aussagekraft von Straßennamen am Beispiel der DDR (vor allem an den Beispielen Jena und Berlin):

  • Sänger, Johanna: Heldenkult und Heimatliebe. Straßen- und Ehrennamen im offiziellen Gedächtnis der DDR, Berlin 2006.
  1. Die Togostraße in Wuppertal-Langerfeld (Video-Beitrag von Heiko Schnickmann)
  2. (Post)koloniale Straßennamen in Berlin (Essay von Petra Seitz)
  3. Der Carl-Diem-Weg in Krefeld (Video von Heike Dillenberg)
  4. Das Oberkassler Ufer (Bonn) (PowerPoint-Präsentation von Gabriele Rose)
  5. Belastete Straßennamen in Nottuln (PowerPoint-Präsentation von Gudrun Meschede)
  6. Die Hagener Straße in Schwerte, 8 Jahre nach einem „Märtyrer“ benannt (PowerPoint-Präsentation von Kirstin ter Jung)
  7. Kolonialrevisionismus in der Bundesrepublik. Straßennamen in Hamburg 1947-1951 (PowerPoint-Präsentation von Sebastian Hiller)
  8. Erinnerungskultur-Kolonialzeit. Placas mit alten Straßennamen der Damero von Pizarro (Lima) (PowerPoint-Präsentation von Silvia Tijero-Sanchez)
  9. Erinnerungskultur konkret: Die Laboratoriumsstraße in Ingolstadt (Audiodatei von Ursula Härtle)
  10. Die Hindenburgstraße in Mönchengladbach (PowerPoint-Präsentation von Astrid Brauner)
  11. Die historische Entwicklung der Straßennamensgebung am Beispiel Hagens (Essay von Dennis Schmidt)
  12. Die Hindenburgstraße in Hagen – jahrzehntelange Debatten bis zur öffentlichen Kommentierung (Bildergalerie von Fabian Fechner)

Video-Beitrag von Heiko Schnickmann

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Essay von Petra Seitz

Präsentations-Film von Heike Dillenberg

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Powerpoint-Präsentation von Gabriele Rose


Powerpoint-Präsentation von Gudrun Meschede


Powerpoint-Präsentation von Kirstin ter Jung


Powerpoint-Präsentation von Sebastian Hiller


Powerpoint-Präsentation von Silvia Tijero-Sanchez


Audiodatei von Ursula Härtle

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Transkript zur Audiodatei „Die Laboratoriumsstraße in Ingolstadt“ von Ursula Härtle (PDF-Download)


Powerpoint-Präsentation von Astrid Brauner

Offiziell „eingeführt“ wurde eine systematische Namensgebung für Straßen in Hagen 1867. Im Kaiserreich erfolgte die Straßennamensgebung in der schnell wachsenden Stadt entlang der Leitlinien der bürgerlichen Kulturnation (beispielsweise Goethe, Schiller oder Uhland), des preußisch-kleindeutschen Nationalismus (beispielsweise nach den Hohenzollern, Körner oder Blücher) und der Würdigung lokaler Akteure (Friedrich Harkort), darunter vielfach Industrielle, die auch selbst Einfluss auf die Namensgebung nahmen. Die Weimarer Republik war hinsichtlich offensiver Umbenennungen insgesamt eher vorsichtig. In Hagen kam es jedoch dennoch zu einigen Namensänderungen, vor allem zwischen Hauptbahnhof und Stadtzentrum. Gerade hier ist im Kaiserreich zunächst eine sehr unpolitische Namensgebung festzustellen: Vier Straßen sind einfach nach den vier Himmelsrichtungen benannt. In der Weimarer Zeit wurde beispielsweise die Südstraße zur Stresemannstraße, die Neumarktstraße zur Republikstraße, oder die Kölner Straße zur Ebertstraße. Daneben finden sich aber auch revisionistische Straßennamen nach den Abtretungen des Vertrags von Versailles (Straßburger Straße usw.). Die besonders republikanischen Straßenzüge westlich des Bahnhofs wurden in der Zeit des Nationalsozialismus erneut zum Gegenstand politischer Namensänderungen: beispielsweise wurde die Ebertstraße zur Adolf-Hitler-Straße, die Republikstraße wieder zur Neumarktstraße und die Stresemannstraße zur Litzmannstraße. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die offensichtlich nationalsozialistischen Benennungen wieder rückgängig gemacht: Vor dem Bahnhof betrat man wieder die Ebertstraße und auf dem Weg in die Stadt überquerte man wieder die Stresemannstraße, die Republik kehrte als Straßenname allerdings nicht zurück. Dieser ambivalente Umgang mit der Namensgebung der nationalsozialistischen Zeit zeigt sich auch an anderen Straßen. Prominent wurde die ehemalige Breite Straße, die 1936 dem „Kolonialhelden“ Lettow-Vorbeck gewidmet worden war, 1947 in Karl-Marx-Straße benannt – ein Coup der KPD in der Stadtverordnetenversammlung. Unverändert blieb aber zum Beispiel die Martin-Luther-Straße, die in der Zeit der Weimarer Republik noch Rathenaustraße hieß (zuvor Oststraße). Da die Martin-Luther-Kirche an dieser Straße liegt, sieht diese Benennung heute „logisch“ aus – dabei handelt es sich keinesfalls um die Erstbenennung.

Mit der Gründung der Bundesrepublik änderte sich der Bedarf an Straßennamen nicht, ganz im Gegenteil: Einerseits wurden neue, große Baugebiete ausgewiesen, andererseits mussten etliche Namensdoppelungen infolge der Eingemeindungen (vor allem der 1970er Jahre) beseitigt werden. Hierbei zeigen sich – hier liegt Hagen ganz im bundesdeutschen Trend – zwei Tendenzen: 1. Eine Bezugnahme auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete (beispielsweise Schlesierstraße); 2. ein Vorbehalt gegenüber der Ehrung von Personen durch Straßennamen. Stattdessen kam es zu thematischen Vierteln, die nach Pflanzen (Rotdornweg), Tieren (Sperberweg) oder sogar Märchen (Rotkäppchenweg) heißen.

Daneben finden sich Umbenennungen, die auf lokale Initiativen seit den 1970er-Jahren zurückgehen und die oftmals mit einer lokal- und regionalgeschichtlichen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zu tun haben (beispielsweise Dr. Ferdinand-David-Park). Zuletzt wurde dementsprechend auch über die Hindenburgstraße diskutiert, wobei schließlich der Name blieb, das Straßenschild aber um eine Kommentierung ergänzt wurde.

Das letzte Beispiel zeigt, dass die Straßennamensgebung nie abgeschlossen ist, sondern sie immer das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses ist, bei dem die Gegenwart mit der Erinnerungskultur verschiedener Vergangenheiten konfrontiert wird. Dabei stellen wir uns sich immer wieder aufs Neue die Frage: Was und wessen kann man heute noch gedenken? Straßennamen sind dementsprechend nicht einfach nur Überbleibsel, die auf uns kommen, sondern sie verbinden wandelbare, vielgestaltige Erinnerungen der Gegenwart und wollen in die Zukunft weisen.

Ausgewählte Umbenennungen im Bahnhofsviertel – nur die Bahnhofstraße behält ihren Namen

Erst­be­nen­nungUm­be­nen­nung in Wei­mar­er ZeitUm­be­nen­nung un­ter der NS-Dik­ta­turUm­be­nen­nung 1947 (bri­ti­sche Be­sat­zung)
Köl­ner Stra­ßeEbert­stra­ßeAdolf-Hitler-Stra­ßeEbert­stra­ße
Nord­stra­ßeErz­ber­ger­stra­ßeSchlag­et­er­stra­ßeGraf-von-Ga­len-Stra­ße
Süd­stra­ßeStre­se­mann­stra­ßeLitz­mann­stra­ßeStre­se­mann­stra­ße
Karl-Stra­ßeHindenburgstraße
Neu­markt­stra­ßeRe­pu­blik­stra­ßeNeu­markt­stra­ße
Brei­te Stra­ßeLet­tow-Vor­beck-Stra­ßeKarl-Marx-Stra­ße
Ost­stra­ßeRat­hen­au­stra­ßeMar­tin-Lut­her-Stra­ße
Bahn­hof­straße
Aus­ge­wähl­te Um­be­nen­nung­en im Bahn­hofs­vier­tel – nur die Bahn­hof­straße be­hält ihren Na­men
Ausschnitt einer Straßenkarte von Hagen mit weiß eingezeichneten Straßen und roten Markierungen von Straßenbahnlinien und Gitternetz.

Wie eben ausgeführt, gehört die Hindenburgstraße zu den politischen Umbenennungen der Weimarer Zeit im Hagener Bahnhofsviertel. Der Pate steht schon seit längerem in der Debatte, vor allem, da Paul von Hindenburg (1847-1934) eher als „Vernunftrepublikaner“ gilt und Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt hat. In einigen deutschen Städten kam es schon zu Umbenennungen. Besonders heftig und langwierig waren beispielsweise die Debatten in Kiel und Münster:

In Kiel wurde 1972, im Vorfeld der Olympischen Spiele, der innenstadtnahe Teil des Hindenburgufers in Kiellinie umbenannt. Erst 2014 folgte der restliche Teil in dieser Umbenennung. In Münster wurde der zentrale Hindenburgplatz nach über 20 Jahren Diskussion in Schlossplatz umbenannt. In manchen Städten wurden erwogen, die Straße nicht umzubenennen, sondern umzuwidmen – nach dem weitaus unbekannteren Mathematiker Carl Friedrich Hindenburg. Prominent ist der Name etwa noch in Mönchengladbach vertreten, wo die Haupteinkaufsstraße nach Paul von Hindenburg benannt ist. Seit 1927 verbindet der Hindenburgdamm die Insel Sylt mit dem Festland.

Die Hagener Hindenburgstraße war von den Umbenennungen des Jahres 1947, während der britischen Besatzungszeit, ausgenommen. Seit 1930 trägt sie kontinuierlich diesen Namen. Man könnte meinen, dass die Dauerhaftigkeit des Namens auf die Abwesenheit von Debatten schließen könnte – weit gefehlt.

Mithilfe des Privatarchivs eines Hageners kann mit einigen Schlaglichtern eine rege Diskussion beleuchtet werden:

Foto von 1974, zeigt die Gebäude-Ecke mit dem selbst gemalten Straßenschild. Im Hintergrund sind eine Häuserfront, Autos und Personen abgebildet.
Altes, schwarz-weißes Flugblatt mit Schreibmaschinen-Text und einer Abbildung von Ernst-Thälmann. Es zeigt zudem auf der rechten Seite eine textliche Gegenüberstellung von Thälmann und Hindenburg. Unten steht: "Niemals wieder Krieg von deutschem Boden. DKP Hagen"
Straßenschild "Hindenburgstraße" mit Zusatztafel vor grauem Himmel. Auf der Zusatztafel unterhalb des Straßenschildes steht: "Paul von Hindenburg 02.10.1847 - 02.08.1934. In seiner Zeit verehrt, heute umstritten. Als Militär Aufstieg bis zum Generalfeldmarschall. 1922 - 1934 Reichspräsident. Ermöglichte 1933 den Beginn der Nazidiktatur."
Straßenschild "Hindenburgstraße" mit Zusatztafel vor blauem Himmel. Auf der Zusatztafel unterhalb des Straßenschildes steht: "Paul von Hindenburg 02.10.1847 - 02.08.1934 Im Ersten Weltkrieg Generalfeldmarschall. 1925 - 1934 Reichspräsident. War 1933 mit verantwortlich für die Zerschlagung der Weimarer Republik und trug zur Errichtung der Nazidiktatur bei."
Ausschnitt des Innenstadt-Bereichs einer Stadt auf einem modernen Stadtplan. Tropfenförmige Kennzeichnung besonderer Orte.

Fragen zur Karte einer unbekannten (deutschen) Stadt:

Frage 1: In welcher Region könnte die Stadt liegen?

Frage 2: Welche thematischen Cluster können für die Straßenbenennungen festgestellt werden?

Frage 3: Aus welcher Zeit könnte der Plan stammen?